Schwestern und Brüder
vom heiligen Benedikt Labre e.V.

Teefahrer-Geschichte von Norbert Trischler

4. Dezember 2021
Dreißig Jahre lang war ich im Gefängnis. Dann wechselte ich 2019 noch einmal von der
Gefängnisseelsorge zur Obdachlosen-und Wohnungslosen-Seelsorge der Erzdiözese
München und Freising.

Jetzt sollte ich als Seelsorger den Menschen auf der Straße
begegnen. Doch wie mache ich das? Wie komme ich an diese Menschen ran? … Am
besten wohl über bestehende Einrichtungen und Organisationen wie die
Ausgabestellen für Essen bei den Klöstern und Kirchen, über Sant’ Egidio und über den
Teebus, die ‚Möwe Jonathan’.
So bewarb ich mich als Teefahrer im Benedikt-Labre-Haus, das ich vom Weber Toni
und vom Egle Toni, zwei mir aus meiner Jugend gut bekannten und altgedienten
Teefahrern kannte.
Ich hatte schon immer ein Herz für die Menschen am Rande der Gesellschaft, bin
irgendwie selbst einer von ihnen und lebe seit 1995 mit meiner Frau zusammen mit
strafentlassenen Menschen in einer familienähnlichen WG. Nun konnte ich auf diese
Weise auch den Freunden auf der Straße näher kommen. Ich möchte ihnen auf
Augenhöhe begegnen und sie spüren lassen, dass sie für mich trotz ‚gesellschaftlichen
Scheiterns‘ wertvolle Menschen sind. Der Wert eines Menschen hängt schließlich nicht
 von seinem Bankkonto, seinem beruflichen Status, seiner Bildung oder seiner Intelligenz ab. Jeder Mensch ist aus sich selbst heraus wertvoll, weil von Gott geliebt und gewollt. Diesen inneren Wert eines jeden Menschen suche ich, sei er äußerlich manchmal noch so überdeckt und entstellt.
Auch der Hl. Bischof Nikolaus hatte ein großes Herz für die Armen. Jedes Jahr um den
6.Dezember herum gestalten wir an den Teebusstationen ein Nikolausspiel. Wir singen
Nikolauslieder, erzählen die Nikolausgeschichte in Reimform und beschenken die Menschen mit kleinen Gaben. Unsere Freunde werden da wie Kinder und spielen richtig nett mit. Letztes Jahr mussten wir den Christoph in den Sack stecken, weil er etwas zu viel getrunken hatte.
Je länger ich mit den Menschen auf der Straße unterwegs bin, desto mehr spüre ich: Das sind
meine Freunde, mit denen ich ein Stückmeines Lebens teile und von denen auch ich
viel an Liebe zurückbekomme. Ob ich nun als Seelsorger oder als Privatmann beim
Teefahren unterwegs bin, das weiß ich nicht. Vielleicht einfach als Norbert. Jedenfalls
werde ich diesen Dienst über meine Berufszeit hinaus auch in der Rente fortsetzen.
Norbert Trischler

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