Benedikt Labre (1748-1783)

Der Nichtsesshafte

Wenn sonst ein Pennbruder, Bettler oder Landstreicher beerdigt wird, geht meistens nur der Priester hinter dem Sarg her. Als man im April 1783 Benedikt Labre beerdigte, der in seinem ganzen Leben niemals etwas anderes war, glich der Trauerzug durch die Straßen Roms eher einem Triumphzug. Schon unmittelbar nach seinem Tod liefen die Straßenjungen durch die Stadt: „Der Heilige ist gestorben! Der Heilige ist gestorben!“ Die Bevölkerung Roms wartete nicht darauf, was der Vatikan dazu sagte. Tausende von Menschen aus allen Ständen kamen, um den toten Bettler zu sehen. Dabei hatte der Mann seit Jahren kaum ein Wort verloren.

Wie Benedikt auf die Straße kam, ist rasch erzählt; wie die Bevölkerung Roms hinter der Fassade der Dreckklamotten den heiligen witterte, weiß hingegen kein Mensch zu sagen. Benedikt Labre wurde am 26.März 1748 in Amettes (Departement Pas-de-Calais) in Nordfrankreich geboren. Seine Eltern waren einfache Leute, betrieben auch einen kleinen Laden. Was man landläufig über die fromme Kindheit und Jugend des kleinen Benedikt liest, vergisst man am Besten schnell. Tatsache ist: Sein früher Versuch, in die Priesterlaufbahn zu gelangen, endete nicht gerade rühmlich an der unüberwindlichen Abneigung des Jungen gegen philosophische Logik.

Einmal aus der Bahn gewöhnlicher Lebensläufe, begann der junge Mann mit einer offensichtlich echten Begeisterung für das Klosterleben, und dann gleich in seiner strengsten Form, zu schwärmen: Benedikt Labre wollte Trappist werden. Eine dreijährige Irrfahrt führte ihn zu den verschiedensten Klöstern. Meistens wurde er gleich an der Pforte abgewiesen – „zu jung“, „zu schwach“ – , zweimal wurde er auch aufgenommen. Einmal erhielt er sogar den Ordensnamen „Frater Urban“. Aber nach spätestens sechs Monaten war das Klosterleben jedes Mal zu Ende. Die Gesundheit und die Psyche spielten nicht mit.

Dann im Jahr 1770 muß ein geheimnisvolles Ereignis im Leben des jungen Mannes stattgefunden haben. Seinen Eltern schreibt er noch nach Hause, er würde nun um Aufnahme in italienischen Klöstern ersuchen. Tatsächlich aber hat er das nicht mehr getan. Irgendein Ereignis musste ihm klargemacht haben, dass sein Platz auf dieser Erde nicht im Kloster war, sondern, – ja, wo? Auf der Straße. Benedikt Labre einenOrt gesucht, wo er hingehörte, und Gott gab ihm „keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen konnte“. Endlich hatte er verstanden.

Dreizehn Jahre zog Benedikt Labre dann als der Bettler und Pilger Gottes durch Europa, von Deutschland bis Spanien. In Einsiedeln in der Schweiz kann man heute noch seinen in Rom ausgestellten Reisepass sehen. Er tat nichts dagegen, dass er körperlich vollkommen verkam; Ungeziefer nistete in seinen Kleidern; ein unerträglicher Gestank ging von ihm aus. In allem wurde er „Abschaum“, „Gosse“, „Dreck“. Seine Ernährung entnahm er in aller Regel den Abfällen. Ein Müllmensch würde man heute sagen.

Trotzdem: Ein Psychopath, ein Verrückter war Benedikt Labre nicht. Wenn er einmal redete – und er sprach oft monatelang überhaupt nicht – war seine Rede von unerhörter Klarheit. Einmal sprach er zu einem Priester über seinen Glauben und erwähnte die Dreifaltigkeit. „Was verstehst du ungebildeter Mensch von diesem Geheimnis?“ fuhr ihm der Geistliche dazwischen. „Gar nichts, aber ich bin hingerissen!“, antwortete der Bettler.

Als diesen von Gott hingerissenen Menschen lernte ihn schließlich die Stadt Rom kennen. Und in diesem Zustand hat ihn auch der Maler Antonio Cavallucci beobachtet und ein ergreifendes Portrait geschaffen. Nachts schlief Labre in irgeneinem Rattenloch des Colosseums, das damals noch keine Touristenattraktion war, und tagsüber pilgerte er von Kirche zu Kirche, wo er oft stundenlang regungslos im Gebet verharrte. Sein schwacher ausgemergelter Körper kam gerade noch über den Winter 1782 / 1783. Dann brach er am 16. April 1783 in einer Kirche zusammen. Ein Fleischer brachte ihn, der nur noch das Gewicht eines Kindes hatte, zu sich ins Haus, wo er 35-jährig starb. Nur um uns zu sagen, dass wir vor Gott alle Bettler sind und gar nicht mehr als das werden können.

Verfasser unbekannt